Carolin Jörg
Besichtigung der Baustelle

Carolin Jörgs Arbeiten werden grundsätzlich von der Zeichnung her entwickelt. Verschiedene Materialien und Techniken kommen zum Einsatz, neben Bleistift, Aquarell und Tusche auch Kugelschreiber oder Stempeldruck. Jedes Papier, das der Künstlerin in die Hände gerät, kann animieren und zeichnerische Prozesse initiieren. Sein materieller Zustand – sei er fleckig, wellig oder zerknittert, fließt in die Bildsprache ein. Dem filigranen Charakter der grafischen Arbeiten entspricht ihre fast provisorische Hängung an Nadeln, mit etwas Abstand zur Wand. Das Schweben vor der Wand steigert den Objektcharakter der Blätter und stößt darüber hinaus ein feines Licht-Schatten Spiel an.
Carolin Jörgs Stickbilder erweitern das Genre der Zeichnung, vor allem ihre Wandstickereien. Fäden verbinden in die Wand geschlagene Nägel und zeichnen komplexe Motivwelten. In „Nach mir die Sintflut – Après moi le déluge“, 2006 in der Stuttgarter Galerie Michael Sturm gezeigt, wird der Blick des Betrachters durch das Repoussoir von Bauarbeiterfiguren in eine imaginäre Baustellensituation geleitet. Bisweilen sind einzelne Worte oder Phrasen den Motiven zur Seite gestellt, welche selbst als grafisches Mittel und zugleich als Titel oder Interpretationslenkung fungieren.
Während eines Stipendiums an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Paris entwickelt die Künstlerin Videoarbeiten aus animierten Zeichnungen, welche die Welt der Mode in eine morbide Welt der Märchen umwandeln. Farbe wuchert über Modeanzeigen aus Hochglanzmagazinen und löst in einem Spiel mit den Ikonen der Film- und Modewelt die glatte Fassade aus Make-up und Fotoretusche auf. Reinste Metamorphosen sind zu beobachten, wenn einem Model Hirschgeweihe aus den Ohren wachsen oder Giselle Bündchen sich in einem Wasserfall aus schwarzen Tränen die Augen aus dem Kopf weint. Fast ist es, als entwickelte die Farbe ein dynamisches Eigenleben, das immer auch vom Akt des Zeichnens Zeugnis gibt. Daraus folgend sind die Videos fern von digitaler Perfektion.
Texte von Dr. Andrea Jahn und Andreas Baur.

Katalog anläßlich der gleichnamigen Ausstellung im Bahnwärterhaus, Galerien der Stadt Esslingen am Neckar

Wendekatalog
48 Seiten, farbige Abbildungen, dt.
Format: 165 x 225 mm